Ratschläge an den Anfänger aus dem Vorwort des Buches:
„Das Schachspiel“, Siegbert Tarrasch, Januar 1931
Für die richtige Benutzung des Buches muss ich dem Anfänger noch einige wichtige Ratschläge geben. Er möge nur den begreiflichen Wunsch, möglichst bald eine Partie zu spielen, unterdrücken. Das Partiespielen im Anfängerstadium ist der sichere Weg zur Stümperschaft. Erst dann, wenn er die Anfangsgründe immer und immer wieder durchgearbeitet und alle darin erörterten Kombinationen sich zu eigen gemacht hat, erst, wenn er die Endspiele durch studiert und damit seinen Blick geschärft hat, erst, wenn er das ganze riesige Material des Mittelspiels sich assimiliert hat,-dann ist er längst kein schwacher Spieler mehr, auch wenn er gar nicht gespielt hat.
Dann braucht er nur noch die Prinzipien, die in der „Allgemeinen Eröffnungslehre“ niedergelegt sind, in sich aufzunehmen und er ist endlich soweit, dass er Partien spielen kann.
Er wird bereits der Mehrzahl der Klubspieler erheblich überlegen sein.
Nach jeder Partie tut er gut, ihre Eröffnung in der „Speziellen Eröffnungslehre“ nach zu sehen.
Hat er Ehrgeiz und will er es zur Meisterschaft bringen - Übung macht den Meister. Jeder leidlich begabte Spieler, er braucht keineswegs hervorragend veranlagt zu sein, kann es zum Meister bringen. Aber das ist ja auch gar nicht nötig! Der richtige Standpunkt ist es, zu seinem Vergnügen zu spielen, und man glaube ja nicht, dass der Genuss proportional dem Können sei.
Die größten Stümper haben häufig den größten Genuss vom Schachspiel, sie geraten schon aus dem Häuschen vor entzücken, wenn ein Springer gleichzeitig König und Dame angreift. Der eigentliche, feinste Reiz des Schachspiels liegt darin, dass man dabei geistig produktiv tätig ist. Und das geistige Produzieren gehört zu den größten Genüssen des menschlichen Lebens, wenn es nicht der größte ist.
Nun kann nicht jeder ein Drama schreiben oder eine Brücke bauen, ja es kann nicht einmal jeder einen guten Witz machen. Aber im Schachspiel, da kann, da muss jeder geistig produzieren und dieses erlesenen Genusses teilhaftig werden. Ich habe ein leises Gefühl des Bedauerns für jeden, der das Schachspiel nicht kennt, ungefähr so, wie ich jeden bedaure die Liebe nicht kennen gelernt hat. Das Schach hat wie die Liebe, wie die Musik die Fähigkeit, den Menschen glücklich zu machen.